Page 29 - Win Labuda Bildermacher
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wird, schnell geschehen; auf korrekte Ausführung und Genau-
igkeit kann der Maler oft nicht achten.
Ganz ähnlich verhält es sich bei F 098, die vornehme
Umschreibung eines Zeichens, das wir sofort als „Stinkefin-
ger“ identifizieren. Dieses Zeichen wurde mit schwarzer Farbe
in einer einzigen zusammenhängenden Bewegung auf die
Wand gesprüht, an der linken Seite der Hand können wir die
Anfangs- und Endpunkte genau ausmachen. Hier sehen wir
den Einsatz gesprühter Farbe auf der Wand und gleichzeitig die
Spraydose als das Medium, mit dem ein Großteil der modernen
Graffiti auf die Oberfläche gebracht wird. Ob die Obszönität
und Aggressivität dieses Zeichens an der Wand damit einher-
geht, dass der Einsatz von Spraydosen vermutlicherweise eher
unter jüngeren Graffitimalern üblich ist, bleibt eine Vermutung.
Man kann aber davon ausgehen, dass dieses Zeichen aus der
leidenschaftlichen Ablehnung eines bestimmten Menschen oder
gar eines Gesellschaftssystems heraus an die Wand gebracht
wurde, die in jugendlichen Gemütern stärker brennt als bei
den etablierten Generationen.
Ein Stimmungswechsel wiederum bei F 001, ein Blatt, welches
das altbekannte „Haus des Nikolaus“ als weißes Kreidezei-
chen auf tiefgrauem Grund zeigt. Viele Strichhäuser sind hier
wie Doppelhaushälften ungeordnet nebeneinander hingemalt.
Es ist nicht auszumachen, ob sie aus einer Hand stammen
oder ob vielleicht ein erstes einsames Häuserzeichen andere
Passanten dazu verführte, weitere hinzuzufügen. Unwillkürlich
stellen sich Kindheitserinnerungen ein, an das eigene spiele-
rische Erlernen dieser Malübung. Aber auch an eigene unbe-
wusste Kritzeleien wird man hier erinnert, welche wir beispiels-
weise während eines Telefonates, in großer Konzentration oder
in Gedankenlosigkeit auf ein unschuldiges Blatt Papier bringen.
Abb. 20 Hand, gestreckter Mittelfinger, Paris, 1999, F 098 Abb. 21 Häuserzeichen, Venedig, 1982, F 001
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