Page 24 - Win Labuda Bildermacher
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als eine durchgehende Kontur der Mauerstruktur hervorhebt.
Während in F 072 insbesondere an den klaren, hierarchiefreien
Bildaufbau Barnett Newmans erinnert wird, kann man in F 012
dem metaphysischen und meditativen Aspekt seiner Bilder
nachspüren.
Ein Großteil der Fotografien zeigt unbewusst erschaffene,
abstrakte Malereien Unbekannter auf Mauern und Wänden. Oft
handelt es sich dabei um Übermalungen, Ausbesserungen oder
um Farbschichten, die aus den unterschiedlichsten Gründen
unbewusst nacheinander aufgetragen wurden und welche sich
erst im Auge des Fotografen zu einer abstrakten Form fügen.
Diese Mauerbilder haben von der Grundtendenz her eine
ähnliche Richtung wie die besprochene Hommage an Barnett
Newman. Einerseits findet man streng geometrische Formen,
die sich gegeneinander durch klare Linien und Hell-Dunkel-
Kontraste abgrenzen wie bei F 083 oder F 084 (beide hier
nicht abgebildet). Andererseits gibt es unregelmäßig aufge-
tragene, expressive und gestisch anmutende Mauermalereien.
Diese Bilder sind Momentaufnahmen eines Vorbeigehenden,
der einen bestimmten Wahrnehmungsfokus hat. Sein Blick ist
sensibilisiert für die besondere Ästhetik der Maueroberfläche,
welche Manchen lediglich als sinnloses Werk von Schmierfin-
ken erscheint.
Eine andere Geisteshaltung, eine andere innere Bereitschaft
führen zu einer Veränderung unserer Realität und so kann
dem einen ein bedeutungsloser Farbklecks dem Anderen zum
Kleinod seiner individuellen Kunstgeschichte werden. Die
Mauer wurde dem Fotografen im Laufe der Jahrzehnte zum
lebendigen Gegenpart. Wir dürfen durch seine Linse hindurch
Zeugen vieler sensibler Offenbarungen werden und somit
eintauchen in eine Realität, die dann auch zu unserer werden
kann.
Abb. 15 Hommage an Barnett Newman II, Paris, 1984, F 072 Abb. 16 Abstraktes Mauerbild II, Rom, 2001, F 137
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