Page 23 - Win Labuda Bildermacher
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Ein ähnlicher Gegensatz zeigt sich bei einem Vergleich zwi-
                                                       schen F 021 und F 100 (hier nicht abgebildet). Bei F 021
                                                       stehen unregelmäßig geformte Flächen grauer, weißer und
                                                       schwarzer Tonwerte nebeneinander. Sie gehen ein maleri-
                                                       sches Spiel miteinander ein, und man wird an Bilder erinnert,
                                                       welche in der Zeit des Tachismus entstanden, oder auch an die
                                                       Werke von Mark Rothko. Das Abbröckeln von Mauerfläche und
                                                       Farbschicht gestaltet sich durch die Konzentration auf diesen
                                                       Abschnitt der Fläche zu einer gestisch und expressiv anmu-
                                                       tenden Form. Demgegenüber steht F 100 bei dem die weißen,
                                                       grauen und schwarzen Flächen klar begrenzt und geometrisch
                                                       definiert sind. Die Struktur-Unterschiede der Maueroberflä-
                                                       che werden durch die Schattierungen der einzelnen Elemente
                                                       betont und es bildet sich ein klares Mit- und Gegeneinander
                                                       von Fläche, Grauwert und Form. Wie oftmals im Werk meines
                                                       Vaters, erinnert auch dieser Ausschnitt an bestimmte Stilent-
                                                       wicklungen in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts. So
                                                       mag er Werke des Suprematismus vor dem geistigen Auge
                                                       gehabt haben wie Schwarzes Quadrat von Kasimir Malevich
                                                       oder aber geometrisch abgegrenzte Flächen, die wir immer
                                                       wieder in den Werken der Farbfeldmalerei bzw. des Colour-
                                                       Field-Painting finden können. Seine Auseinandersetzung mit
                                                       der Kunst des 20. Jahrhunderts lässt sich in vielen seiner Foto-
                                                       grafien erkennen, und für jeden Kenner moderner Kunst kann
                                                       die Beschäftigung mit seinen Mauerbildern zu einem Spiel des
                                                       Wiedererkennens werden. In seinen fotografischen Blättern
                                                       nimmt er manchmal direkten Bezug auf einzelne Künstler,
                                                       die Einfluss auf seine Motivauswahl gehabt haben, womit wir
                                                       zu einem nah angrenzenden Themenkreis der Fotografien
                                                       kommen, nämlich den auf die Wand gemalten abstrakten
                                                       Flächenbildern.


           Abstrakte Mauerbilder                       In F 012 würdigt mein Vater einen der bedeutendsten
                                                       amerikanischen Künstler der Moderne. Barnett Newman
                                                       (1905-1970) kann oberflächlich gesehen der Farbfeldmale-
                                                       rei zugeordnet werden, die sich Anfang der 50er Jahre als
                                                       Gegenbewegung zum Abstrakten Expressionismus in Amerika
                                                       etablierte und weitreichenden Einfluss auf nachkommende
                                                       Stilrichtungen der Malerei und der Bildhauerei hatte. Charak-
                                                       teristisch für Newmans Stil wurden die berühmten „ZIPS“ -
                                                       zum Großteil großformatige, strahlende Farbflächen, die von
                                                       schmalen kontrastierenden Farbbändern durchlaufen werden.
                                                       Sowohl mit seiner bildnerischen Erarbeitung des Meditativen
                                                       und Sublimen, in den in sich selbst und auch zum Umraum
                                                       ohne Rangordnung organisierten Farbfeldern, als auch mit
                                                       seinen theoretischen Schriften, etablierte sich Newman als
                                                       herausragende Künstlerpersönlichkeit der USA.
                                                       In F 012 wurde ein starker Schwarz-Weiß Kontrast abgebil-
                                                       det, wobei sich die weißen Farbflächen nicht klar gegen die
                                                       schwarzen abgrenzen, sondern einen unregelmäßigen Verlauf
           Abb. 14 Hommage an Barnett Newman I, Venedig, 1984,   in Form und Tonwert aufweisen. Der „ZIP“ dieses Bildes wird
           F 012                                       gebildet durch ein vertikales schwarzes Band, welches sich

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