Page 18 - Win Labuda Bildermacher
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Zusammenhänge - beispielsweise innerhalb einer archäologi-
schen Fundstätte - heute kaum noch auszumachen.
Ein immanenter Bestandteil des Graffiti ist seine Vergänglich-
keit. Per se nicht für die Ewigkeit bestimmt, sind der Nachwelt
aus der Geschichte nur wenige Graffiti erhalten geblieben.
In den Zügen etwa, die im 1. Weltkrieg die Soldaten an die
Front oder wieder zurück in die Heimat transportierten, kann
man zahlreiche Graffiti an den Waggons finden, die den Feind
karikieren. Im Deutschland des Nationalsozialismus wurde
die anfängliche systematische Diskriminierung und später die
gesetzlich verordnete Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung
von Graffiti aus dem Volk und von der SS begleitet. Angefan-
gen mit rassistischen Parolen wurde der Davidsstern an einer
Ladenwand zum Symbol für den Boykottaufruf gegen ein von
Juden betriebenes Ladengeschäft. Später rief der Stern nicht
mehr nur zum Boykott auf, sondern wurde zum Todeszeichen
an der Wand. Aber genauso wie Graffiti im Dienste totalitärer
Abb. 7 Banksy, Pentonville Rd, London Regierungen standen, waren auch die großen Widerstands-
bewegungen unseres Jahrhunderts begleitet von Zeichen an
der Wand, die Mut machen und vermitteln sollten, dass es
irgendwo - oftmals im Untergrund - Menschen gab, die für ihre
jeweilige Idee von Gerechtigkeit kämpften.
In Spanien war es während des Franco Regimes das P für
„Protestad“ an den Wänden, und im Laufe der 60er Jahre kam
es zu einer wahren Flut von Graffiti gegen bestimmte Regime
oder gegen eine Doktrin, so beispielsweise in Südafrika, Portu-
gal und natürlich auch in Deutschland während der Studenten-
bewegung der 68er Jahre. Solche politisch motivierten Graffiti
sind stets anonym; sie stehen im Dienst einer Überzeugung
oder Idee, welche von einer größeren Gruppe vertreten wird.
Die Entwicklung und die Allgegenwart solcher Zeichen an
Wänden führt zu der Erkenntnis, dass das Graffiti im Laufe des
20. Jahrhunderts drastisch an Präsenz gewonnen hat. Das mag
aber auch darin begründet sein, dass es uns heute aufgrund
verbesserter Materialeigenschaften der Farben länger erhalten
bleibt als früher.
Mit Sicherheit kann man die eigenständige Bewegung gewis-
sermaßen einer „Graffitikunst“ ab Mitte der 30er Jahre fest-
stellen, die ihren Ursprung in den USA hatte und sich Anfang
der 70er Jahre auch in anderen Teilen der Welt und zwar in
unterschiedlichsten Ausprägungen etablieren konnte. Inner-
halb solcher Bewegungen entstanden und entstehen heute
sogar große Wandbilder, teils gemalt - teils gesprüht, entwe-
der im Schatten der Legalität (z. B. der Street-Art-Künstler
Abb. 8 Banksy, Rats Banksy *1974) oder heute auch schon als Auftragsarbeit.
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