Page 15 - Win Labuda Bildermacher
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das Bekannte mit frischem Entdeckergeist wahrzunehmen,
                                                       seien der Besprechung einzelner Werke einige Überlegungen
                                                       vorangestellt. Dabei sollen zunächst die beiden maßgeblichen
                                                       Teile des Gezeigten näher betrachtet werden: Zum einen das
                                                       Phänomen Mauer und zum anderen die Veränderungen ihrer
                                                       Erscheinungsform einerseits durch den Menschen und anderer-
                                                       seits durch die Zeit.


           Die Mauer                                   Archaisch gesehen ist die Mauer wohl auf den Wunsch des
                                                       Menschen zurückzuführen, als Einzelner oder als Gruppe einen
                                                       deutlich abgegrenzten Lebensraum zu errichten. Die freie Wahl
                                                       von Orten an denen Lebens- und Überlebensbedingungen
                                                       vorteilhaft schienen, mag diesen Prozess beeinflusst haben.
                                                       Irgendwann jedoch entließen die zunehmend gewonnenen
                                                       Fertigkeiten des Hausbaus den Menschen aus der Abhängig-
                                                       keit von Höhlen und Bäumen. Sie bescherten ihm im Rahmen
                                                       der somit erweiterten Versorgungs- und Verteidigungslage
                                                       die Möglichkeit zu einem wesentlichen Entwicklungsschritt.
                                                       Im Zuge der Entwicklung der Zivilisation gewann die Mauer
                                                       nun mit dem Schutz- nun auch an Symbolcharakter. In der
                                                       Architektur des römischen Imperiums etwa wurde sie zu
                                                       einem der Zeichen von Macht und Unbesiegbarkeit. Übermäßig
                                                       groß angelegt und somit scheinbar unüberwindlich, war ihre
                                                       ursprüngliche Bedeutung - Begrenzung und Abschirmung - auf
                                                       diese Weise neu definiert worden. Der Ansatz fand seine his-
                                                       torisch imposanteste Ausprägung in der Erbauung der Chine-
                                                       sischen Mauer. Noch heute ist sie das größte Festungsbauwerk
                                                       der Erde, ein Monument, welches sagen Manche selbst aus der
                                                       Ferne des Weltalls sichtbar sein soll. Erbaut um 210 v. Chr.,
                                                       hat sie eine Länge von 2450 km und wurde damals zur Abwehr
                                                       einfallender Nomadenstämme errichtet.
                                                       Anders geartete, symbolhafte Bedeutungen wurden mit dem
                                                       Bild der Mauer in mittelalterlichen Mariendarstellungen ver-
                                                       knüpft. Der „hortus conclusus“, also der Garten, in dem Maria
                                                       in den bekannten Verkündigungsszenen gezeigt wurde, ist in
                                                       der bildlichen Darstellung oftmals von einer Mauer umgeben.
                                                       Hier, in der christlichen Religion, steht die Mauer auch für
                                                       Jungfräulichkeit und Unantastbarkeit der Mutter Gottes. Die
                                                       trotzige, hoheitsvolle Gebärde, mit der die Mauer sich einer-
                                                       seits schützend vor den Menschen stellt, ihm auf der anderen
                                                       Seite aber auch unüberwindliches Hindernis sein kann, machte
                                                       sie zu einem angreifbaren Pänomen gesellschaftlicher und
                                                       politischer Auseinandersetzung.
                                                       Der erste Akt der Befreiung in der Französischen Revolution
                                                       (1789 - 1799) ging einher mit der Zerstörung einer Mauer. Die
                                                       Bastille war zum Symbol für Unterdrückung und absolutisti-
                                                       sche Herrschaft des französischen Reiches geworden und sie
                                                       musste fallen, zum Zeichen eines gesellschaftlichen Neube-
                                                       ginns. Seit diesem Tag sind der Begriff Mauer und ihr Fall
                                                       unweigerlich mit dem Glauben an die Freiheit verbunden. Auch
           Abb. 3 Aaron Siskind, Morocco 92, 1982      das bedeutendste Ereignis der jüngeren deutschen Geschichte


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