Page 19 - Win Labuda Bildermacher
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Win Labuda - einzelne Werke Wendet man sich nun einzelnen fotografischen Blättern meines
Vaters zu, dann entdeckt man bereits bei einem ersten Durch-
sehen derselben sowohl Abbildungen von Graffiti, die in einer
künstlerischen Art und Weise auf der Mauer erscheinen, und
gewissermaßen - Alleinstellungsmerkmal für seine Kunst-Bilder
von Mauerstrukturen - geheilte Mauern - wie er diese Bilder
nennt, aber auch abstrakt erscheinende Mauerbemalungen.
Da gibt es das gesprühte Graffitimännchen, die Kreideinschrift
eines Liebenden oder die Schriftgravur in Baum oder Stein.
Es gibt aber auch die ebene, verputzte Mauer mit den Spuren
sorgfältiger Restauration, kontrastierende Flächen oder das
Schattenspiel einer schmiedeeisernen Form. Man bemerkt
auch, dass die Untergründe nicht immer nur Mauer im stren-
gen Sinne des Wortes sind, sondern wir sehen viele Gründe
Bäume, Mauern, Wände, aber auch Tore und Türen aus Holz
oder Eisen. Die Aufzählung macht die Mannigfaltigkeit sowohl
der Motive als auch der Untergründe deutlich, welche trotz
des geschlossenen Themenkreises, das Werk dennoch kenn-
zeichnet. Der Begriff „Mauer“ steht für sie alle. Sucht man
die tiefergehende Auseinandersetzung mit den fotografischen
Blättern, so lassen sich nachfolgend wiederkehrende Motiv-
gruppen und Themen nebeneinander stellen und zueinander in
Beziehung setzen.
Wandstrukturen Den Einstieg in diesen Teil des Oeuvre bilden jene fotografi-
schen Werke, welche „nackte“, unveränderte Mauerstruktur
zeigen. Eine durchgehend monochrome und ebene Mauerflä-
che werden wir aber in diesem Werk nicht antreffen. Der Fokus
und die Wahl der Ausschnitte beinhalten zumeist Teile einer
Oberfläche von geometrischer oder auch quasi-geometrischer
Abstraktion oder aber sie zeigen uns Formen, welche wir
spontan mit einem freien malerischem Gestus in Verbindung
bringen.
Bildnerische Aspekte im Sinne malerisch anmutender Formen
können wir bei der Fotografie Werksverzeichnis F 019 entde-
cken. Die unversehrte Oberfläche einer Wand ist hier aufgebro-
chen. Eine sich unregelmäßig verbreiternde Rinne bewegt sich
von links oben zur rechten unteren Ecke des Bildes. Die daran
angrenzenden Wandflächen erscheinen im oberen Teil in dunk-
leren Tönen, im unteren Teil in hellem Grau- und Weiß. Im
dunklen Teil befindet sich links oben eine nahezu kreisrunde
kleine, helle Fläche, die mit ihrer Umgebung kontrastiert. Es ist
denkbar, dass die Rinne im Laufe der Zeit durch die zehrenden
Kräfte von Regen und Wind entstanden ist. Jedenfalls sehen
wir die unversehrte, ebene Mauer unserer Vorstellungswelt
aufgebrochen, verletzt und der wehrhafte und abschirmende
Aspekt des Begriffs Mauer wirkt nun ins Gegenteil gewandelt.
Abb. 9 Mauermond am Fluß, Venedig, 1985, F 019 Diese Stelle hat in zweifacher Hinsicht besondere Bedeutung:
Zum einen kann man in dem nuancenreichen Wechsel von Hell
und Dunkel und in den reliefartigen Strukturunterschieden zwi-
schen ebener Fläche und Aushöhlung die malerisch anmuten-
den Formen dieser Maueroberfläche erkennen, zum anderen
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