Page 16 - Win Labuda Bildermacher
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war 1989 mit dem Fall einer Mauer verbunden. Hier war die
                                                       Mauer das reale und symbolische Monument für Gewalt und
                                                       Teilung eines Volkes. Erst als diese Mauer erklommen und
                                                       überwunden war, wurde die Freiheit zur Realität.

           Das Graffiti                                Das Zeichen an der Wand, der Protestschrei, die Liebeser-
                                                       klärung oder der Hilferuf haben eine Kraft, welche aus ihrer
                                                       Unmittelbarkeit heraus entsteht. Kaum eine andere Art von
                                                       Mitteilung erreicht die Intensität von Pinselstrichen oder
                                                       Kerbungen an einer Mauer. Einen Teil ihrer Wirkung beziehen
                                                       solche Graffiti aber auch aus der Zerstörung fremden Eigen-
                                                       tums. In aller Heimlichkeit und Schnelle ausgeführt und für
                                                       den Schreiber, den Maler, stets verbunden mit der Gefahr des
                                                       Gestelltwerdens, demonstrieren die Graffiti auch immer einen
                                                       Widerstand gegen Recht und Ordnung; und so ist die Mauer
                                                       auch heute noch Panel derer, denen eine Botschaft in der Seele
                                                       brennt.

                                                       Die Geschichte des Graffiti steht im engen Zusammenhang mit
                                                       der Geschichte der Kommunikation, also der Übertragung von
                                                       Aussichten, Gefühlen und Nachrichten. Dem Wunsch des Men-
                                                       schen entsprechend, persönlichen Ausdruck auch zu konser-
                                                       vieren, haben sich verschiedene Medien der Verbreitung ent-
                                                       wickelt. In der Antike schon gab es Schriftrollen, Steinplatten
                                                       mit Einritzungen, Malereien an den Wänden von Höhlen und
                                                       viele andere Ausprägungen der Überlieferung von Geschichten
                                                       und Ereignissen. Aber auch die mündliche Überlieferung war
                                                       bis in das Mittelalter hinein gängige Art des Informations-
                                                       Austausches. Vor allem Minnesänger oder Troubadoure waren
                                                       wichtige Mitglieder einer Gemeinschaft. Sie bewahrten und
                                                       erzählten alte Geschichte und Geschichten.
                                                       Graffiti nehmen in diesem Kanon der Mitteilungsarten eine
                                                       Außenseiterrolle ein. Sind sie doch schriftlicher, unmittelbarer
                                                       Ausdruck von Gefühl, der oftmals einher geht mit der Übertre-
                                                       tung eines Verbotes. In alttestamentarischen Erzählungen wird
                                                       uns von dem Menetekel berichtet, welches eine Warnung oder
                                                       ein unheildrohendes Zeichen an der Wand war, das zunächst
                                                       dechiffriert werden musste. Heute weltweit verbreitete Trivi-
                                                       alform einstmals eingeführter Codezeichen ist beispielsweise
           Abb. 4 Lee Friedlander, San Juan, Puerto Rico,   das Herz mit dem Pfeil, der es durchdringt, - von uns allen
           1979                                        automatisch als Zeichen für Liebe interpretiert.

                                                       Archäologische Funde beweisen die Existenz von Graffiti
                                                       schon zu den Urzeiten der Zivilisation, man fand sie in alten
                                                       Versammlungsstätten und Untergrundsystemen, in Burgen,
                                                       Schlössern und sanitären Anlagen. Schon immer scheint es
                                                       dem Menschen ein Anliegen gewesen zu sein, sich unmittelbar
                                                       zu äußern, oft spontan und ohne tiefgehende Gedanken über
                                                       Form und Gehalt.
                                                       Ein besonderer Beweis für die Mauer als Mittlerin spontaner
                                                       Gefühle und Gedanken, sind die tragischen Worte der Bewoh-

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