Page 17 - Win Labuda Bildermacher
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ner von Pompeji, welche sie in den letzten Minuten ihres
                                                       Lebens an die Wände ihrer Häuser geschrieben hatten. Aber
                                                       auch sonst wurden dort viele Graffiti gefunden, welche von
                                                       den heiteren Momenten ihrer einstigen Bewohner zeugen. Sie
                                                       vermögen es, uns die verschüttete Stadt im Geiste wieder
                                                       lebendig zu machen, und geben zudem den Menschen, die
                                                       in ihr lebten, Namen und Geschichten. Auch aus Frankreich
                                                       sind Graffiti überliefert. Restif de la Bretonne zum Beispiel war
                                                       ein berühmter „Kritzler“ im Französischen „Griffon“ genannt,
                                                       der die Mauern an den Ufern der Seine als sein persönliches
                                                       Tagebuch betrachtete und dort Daten, Erlebnisse und Gefühle
                                                       verewigte.

                                                       Die unbestreitbare Bedeutung der Mauer als öffentliches
                                                       Kommunikationsforum und persönliche Tafel führte zu einer
                                                       Vielfalt von Ausprägungen des Graffiti. Sei es die gezeichnete
                                                       Linie eines Kindes an der Wand, das persönliche Symbol eines
                                                       Menschen, ein komplexes Wandgemälde oder Gruppenarbeiten
                                                       von Sprayern wie beispielsweise an Bahnhöfen und Zügen; die
                                                       Mannigfaltigkeit der Zeichen und Texte scheint keine Grenzen
                                                       zu kennen.
                                                       Jeder von uns hat schon einmal ein Graffiti gemalt, unbe-
                                                       wusst und spontan, für ein Hüpfspiel auf der Straße oder ein
           Abb. 5 Lee Friedlander, New York City, 1988   geritztes Herz in die Schulbank. Viele Situationen lassen sich
                                                       ins Gedächtnis rufen, in denen wir unbewusst und spielerisch
                                                       die nächstgelegene Fläche bemalten, ritzten oder mit einer
                                                       Zeichnung versahen. Das Graffiti entsteht einem inneren
                                                       Ruf folgend; ein Bild oder Wort, welches schon in uns lebt,
                                                       dringt zumeist aus dem Unterbewusstsein an die Oberfläche.
                                                       Aber das Unbewusste des Graffiti ist nur einer der möglichen
                                                       Aspekte, die wir in dieser Welt der Zeichen und Worte betrach-
                                                       ten können.

                                                       Im Laufe der Jahrhunderte wurde auch die Kraft eines Zei-
                                                       chens an der Wand bezüglich seiner Wirksamkeit in der Öffent-
                                                       lichkeit entdeckt. Ein Beginn der Überlieferung von Zeichen,
                                                       welche einem bestimmten Personenkreis zugedacht waren, ist
                                                       das Zeichen des Fischs der verfolgten Christen im Römischen
                                                       Reich. Der Fisch an der Wand war ein Zeichen der unausge-
                                                       sprochenen Übereinkunft stillschweigender Zusammengehörig-
                                                       keit von Verfolgten, die oftmals nur dadurch zu ihren Verbün-
                                                       deten fanden. Betrachtet man die Geschichte des Graffiti, dann
                                                       sind es immer wieder Gemeinschaften dieser Art, welche sich
                                                       durch die Bemalung von Wänden und Mauern äußern, um Ver-
                                                       bündete zu suchen, zu protestieren, eine Haltung zu demonst-
                                                       rieren – und dabei dennoch anonym zu bleiben.

                                                       Der Sinngehalt der überlieferten Graffiti, welche innerhalb
                                                       eines politischen oder religiösen Zusammenhangs entstanden,
                                                       ist nur für die Zeitspanne des 20. Jahrhunderts nochvollzieh-
                                                       bar. Wenn es auch Zeugnisse für die Jahrhunderte währende
           Abb. 6 Lee Friedlander, New York City, 1979  Existenz von Graffiti gibt, so sind doch die thematischen

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