Page 33 - Win Labuda Bildermacher
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Bei „NON, Geschichte Frankreichs“, ist das Wort NON (Nein)
auf einer Fläche von drei aneinander grenzenden Steinqua-
dern zu sehen, wobei das Wort selbst auf dem obersten,
querrechteckig gelagertem Stein erscheint. Es ist nicht genau
auszumachen, ob das Wort einstmals auf den Stein geschrie-
ben war oder ob die schemenhaften Lettern durch ein Schild
entstanden, welches nicht mehr existiert. Das Wort selbst ist
nur noch schwer auszumachen; trotzdem behält es auf diesem
Bild seine Aussagekraft. Hier haben wir eine aus behauenen
Steinen gefügte Mauerfläche, ein Zeichen dafür, dass es sich
um ein offizielles Gebäude handeln könnte. Das Wort NON
darauf schimmert wie eine Erinnerung an die Geschichte
Frankreichs, an den Widerstand der algerischen Franzosen,
welche Mitte des vergangenen Jahrhunderts gegen die Abspal-
tung ihrer Heimat vom französischen Mutterland kämpften und
am Ende diesen Kampf verloren.
Geständnisse und Botschaften Eine ganz andere Stimmung verbreiten die Geständnisse und
Botschaften des einzelnen Kritzlers an der Wand, die wir auf
den Fotografien F 059 und „Olivier, Te Quiero“ (F 118) sehen
können. Bei F 059, hat ein Unglücklicher auf eine dunkle
Wand, die auf der linken Hälfte weiße Bemalungen aufweist,
den Satz „I am sad, dont you know“ (Ich bin traurig, weißt Du
das nicht?) auf die Wand geschrieben. Richtet er sich damit
an einen bestimmten Menschen oder an die ganze Welt? Er
möchte seine Melancholie teilen, um sich von ihrer Last zu
befreien, und wählt die Mauer als schwarzes Brett seiner
Empfindungen.
Auf dem Bild „Olivier, Te Quiero“, sehen wir auf einem weißen
Fensterladen über einer schwarzen Mauerfläche die Liebes-
erklärung Olivier te quiero (Olivier, ich liebe Dich) in kleinen
schwarzen Buchstaben säuberlich hingeschrieben. Weiß
Olivier, dass er geliebt wird? Die Schreiberin bleibt, wie auch
im vorhergehenden Bild, anonym. Ist das geschriebene Wort
nicht immer auch ein Eingeständnis an sich selbst; erst wenn
es geschrieben wurde, ist es auch wahr geworden, für einen
selbst und für die Welt?
Die persönlichen Botschaften gehen uns auf eine besondere
Weise nahe; sie lassen so viele Fragen über individuelles
Schicksal unbeantwortet: Wie gerne wüsste man, ob Olivier
auch liebt, ob sich bei F 059 Traurigkeit in Glück wandeln
konnte. Oder liegt unsere Faszination vielleicht gerade im
Wissen darum, dass uns eine Antwort für immer versagt
Abb. 26 „Olivier, Te Quiero“, Paris, 1999, F 118 bleiben muss?
Die Gravur in den Stein berührt uns tiefer als die bemalte
Gravuren Wand. Ist sie doch nicht Zeichen flüchtigen Seins, sondern
Botschaft mit dem Anspruch auf ewiges Leben. Die Gravur ist
die archaischste Form aller Künste. Der Graveur dringt ein,
tief in die Oberfläche des Steins, er zerstört die Materie, mit
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