Page 35 - Win Labuda Bildermacher
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Abb. 28 „Merde“, 1990, F 050                       Abb. 29 „Vive l‘Anarchie“, 2001, F 142


                                                       der Kraft seiner Hände ein Bild zu schaffen oder ein Wort; es
                                                       scheint mit tieferer Leidenschaft versehen, unter größerer
                                                       Mühsal geschaffen. Der Widerstand des Steins, des Holzes
                                                       steigert den Willen, allen stofflichen Barrieren zum Trotz
                                                       Bleibendes zu hinterlassen; und allein der Graveur weiß sich
                                                       seines Lohnes sicher: dass kein Regen seine Botschaft je
                                                       löschen kann. Im vorliegenden fotografischen Band finden wir
                                                       viele Blätter, welche die Gravur in die Rinde des Baums oder in
                                                       den Stein zum Inhalt haben, und auch hier reicht die Band-
                                                       breite von abstrakter Zeichnung bis hin zur Liebeserklärung.

                                                       Beginnt man bei dem Bild „Merde“ (F 050) dann wird der
                                                       Unterschied zwischen geschriebenem und graviertem Wort
                                                       deutlich. Um wie viel intensiver erscheint doch die Kerbung in
                                                       der Wand, die scharfe Kante, die tiefe Gravur und die spitze
                                                       Form der Buchstaben als in der gemalten Schrift. Aber auch
                                                       das Hochlebenlassen der Anarchie bei F 142 (Vive l anar-
                                                       chie - Es lebe die Anarchie) scheint, mühsam in den Stein
                                                       gekerbt, ein eindinglicherer Aufruf zu sein als das A in einem
                                                       Kreis, welches wir als Sprayzeichen auf vielen Wänden unserer
                                                       nächsten Umgebung kennen. Das Ende der Liebe bei F 121
                                                       (Nadège, Fin d Amour - Nadège, das Ende der Liebe) bedurfte
                                                       offenbar des Mediums der Gravur, um das ohnmächtige Gefühl
                                                       der Enttäuschung in seiner ganzen Intensität zu zeigen. In den
                                                       Stein gemeißelt wird das Ende der Liebe zu Nadège mit einer
                                                       Endgültigkeit besiegelt, bei der jeder einzelne Buchstabe die
                                                       Emotionalität des Graveurs bewahrt.

                                                       Aber nicht nur das geschriebene Wort, sondern auch die Zeich-
                                                       nung begegnet uns als Mauerkerbung auf den Wanderungen
                                                       durch dieses Oeuvre. Bei F 094 und auch bei F 105 (hier nicht
                                                       abgebildet) finden wir die Strichgesichter unserer Kindertage.
                                                       Sie ähneln unseren ersten Versuchen, menschliche Gesichter
                                                       darzustellen. Das Kind wählt immer den direktesten Weg. Mit
                                                       einem Kreis, wenigen Punkten und Strichen kommt es zum
           Abb. 30 „Nadege, Fin d‘ Amour“, 1999, F 121  gewünschten Ziel und hat damit ein Abbild geschaffen, das in

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