Page 130 - Win Labuda Bildermacher
P. 130
Ich will nun versuchen, die gebrauchten Begriffe etwas zu
erhellen:
• Schöpferische Intention heißt der Wille, etwas Neues zu
schaffen
• Erzählerisches Verlautbaren meint das Vortragen von
Lyrik, genau wie die Klangrede in der Musik oder bei-
spielsweise die narrativen Bildinhalte der Malerei.
• Innerlichkeit bedeutet hier beschaulicher Rückgriff auf
existentielle, Bewusstseins-erweiternde Gedanken und
Empfindungen.
Wie kommt es nun zu einer Übertragung poetischer Inhalte
vom Maler über das Bild zum Betrachter? Ich sehe die Poesie
als die höhere Oktave der Hoffnung - nämlich auf eine befrie-
dete Welt: Sie verkörpert eine ihr eigene Welt, die ihre Inhalte
dem gleichermaßen Veranlagten - und schlechthin nur diesem
– zugänglich macht. Gelegentlich ist es von Nutzen, im Sinne
einer Vertiefung des Verständnisses für die Phänomene der
Kunst ohne die übliche Scheu Grundlagen der Naturwissen-
schaften zu bemühen: In diesem Sinne will ich zur Erklärung
der Übertragung von Poesie das physikalische Phänomen der
Resonanz erwähnen. Resonanz ist, wenn die Saite eines Musik-
instruments in Schwingung gerät und nun ohne jedes weitere
Zutun die entsprechende Saite eines zweiten Musikinstruments
ebenfalls zu schwingen beginnt.
Das beschriebene Resonanzphänomen, so denke ich, lässt sich
ohne große Mühe auf das Verhältnis von Maler zum Betrachter
poetischer Bildwerke übertragen. Wir sehen ein Bild poeti-
scher Prägung, währenddessen unser Inneres zum Gesehenen
in einen Zustand der Resonanz gerät und unsere affektive
Beteiligung weit über das Maß eines gewöhnlichen Interesses
hinausgeht. Im besten Falle sehen wir uns bewahrt, beseelt
und beglückt. Ganz anders hingegen bei einem prosaischen
Bild, dessen geistige Urgründe etwa den Kriterien Information,
Hinweis, Vergleich oder Akklamation geschuldet sind. Mögen
wir bei dessen Betrachtung entsprechend der o. a. Prosa-
Definition wohl eine geistige Bereicherung erfahren, so jedoch
Abb. 8 (Poetische) Höhlenmalerei, Irangi nicht eine Beglückung oder Beseeltheit im zuvor beschriebe-
bei Kondoa, ca. 15000 v. Chr.
nen Sinne. Die Übergänge zwischen den beiden Gruppen sind
sicher fließend, aber es darf angenommen werden, dass sich
sowohl die seelischen Auswirkungen, als auch die Eindruck-
stiefe der beschriebenen Qualitäten poetisch-prosaisch, beim
Betrachter deutlich voneinander unterscheiden.
Nicht erst seit der griechischen Kulturepoche etwa 500 v. Chr.,
sondern so lange der Mensch sich durch Malerei und Zeich-
nung artikuliert, finden wir immer wieder Beispiele für die
genannte Unterscheidung in poetisch und prosaisch. Es gibt
Abb. 9 (Prosaische) Felsritzung, Bronze-
zeit, Landkarte von Bedolina (nachgezei- Felsritzungen (Abb. 8, 9), in denen sich das Phänomen bereits
chet) in der frühen Bronzezeit zeigt. Offenbar sind die Wesensmerk-
130