Page 164 - Win Labuda Bildermacher
P. 164
Kunstempfindens. Es stellt sich die Frage, ob ein fotografisches
Bild, das von einem Kunstvermittler (Kurator, Auktionator,
Galerist, Rezensent, Bücher- oder Ausstellungsmacher) als
„Kunstbild“ erkannt und dem Publikum vorgestellt wird, allein
durch dessen Auswahl und Zurschaustellung einem Bedeu-
tungswandel vom Abbild zum Kunstbild unterliegen. Immerhin
erfahren Bilder, die von anerkannten Auktionatoren vorgestellt
werden, gelegentlich eine Nobilitierung im Sinne einer erwei-
terten Kenntnisnahme und Höherbewertung durch das kaufwil-
lige Publikum. Die Akteure der Bewusstmachung fotografischer
Bildwerke sind: Fotograf - Aussteller - Betrachter - Käufer. Wir
erkennen eine gewisse Nähe zu der für die Industrie-Gesell-
schaft typischen Marktkette: Produzent - Verteiler - Anwender.
Man ist geneigt, einem Museumskurator das höchste Maß an
Bestimmungshoheit über die ausgestellten Künstler und Werke
zuzusprechen. Allein, auch der Kurator ist nicht lediglich den
geistigen Aspekten von Kunst verpflichtet, sondern beispiels-
weise immer auch der zu erwartenden Besucherzahl seines
Hauses.
Jahrhunderte lang war uns bildwirksame Ästhetik sichtbare
Bestätigung eines bestimmten Ordnungsgefüges in unserer
Welt. Was wir in einem ästhetisch gestalteten Bild, etwa auf
der Grundlage des „goldenen Schnitt“ suchen, ist die Ver-
sicherung, dass unser Leben von zuverlässigen, ordnenden
Kräften bestimmt, einem ehernen Sinn gehorcht. Ansel Adams
Bergmassive, Bloßfelds Pflanzenbilder, Callahans Gräser und
Caspar David Friedrichs Landschaften versichern uns genau
dieser als „gut“ empfundenen ordnenden Kräfte. Dies ist wahr-
scheinlich auch der Grund dafür, dass wir in den Wohn- und
Arbeitsbereichen von Menschen im Allgemeinen keine Bilder
Sterbender oder bei Kriegshandlungen Verstümmelter an den
Wänden finden, sondern vor Allem solche, die in uns aufbau-
ende Kräfte wecken oder „guten Erinnerungen“ gewidmet
sind. Die Tatsache, dass sich heute zunehmend fotografische
anstelle von grafischen Bildern oder Gemälden selbst an den
Wandflächen des persönlichen Umfelds finden, zeigt denn
auch unseren erhöhten Bedarf, den Beweis für die Existenz
ordnender Kräfte durch die Realität der Fotografie zu stützen.
Der Glaube schwindet, Beweis soll an seine Stelle treten und
solchen Beweis lässt von den bildenden Künsten am ehesten
die Fotografie erwarten.
Das in diesem Aufsatz projizierte Bild betrifft im Wesentlichen
eine Fotokunst des Erhabenen und Noblen. Dies muss naturge-
mäß jene herausfordern, die sich beispielsweise mit der Ablich-
tung von Industriebrachen (Edward Burtynsky), von durch
Abfälle verunreinigte Landschaften (Richard Misrach) oder
dem Emigrantenelend auf unserer Erde (Sebastiao Salgado)
beschäftigen. Sie könnten argumentieren, die Kunst des Erha-
benen und des Schönen sei längst Geschichte und die Moderne
vor allem berufen, Wahrheit aufzuzeigen. Solche Tendenzen
sind in der Kunst nicht neu. Haben doch schon Francisco de
164