Page 45 - Win Labuda Bildermacher
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Bildern betroffen von der Intensität, die vor Allem aus der
Nähe seines Fokus entsteht. So entfalten seine Bilder ihre
einzigartige Mythologie, ihre ursprüngliche Sprache. Brassais
Interesse an der archaisch anmutenden Wandgravur gründet
auf zwei bedeutende Einflüsse der damaligen Zeit: dem Schaf-
fen Pablo Picassos und der relativ neu entdeckten Schönheit
in der Kunst der Naturvölker. Beide Einflüsse sind eng mitein-
ander verquickt; war doch Picasso einer der großen Vertreter
einer primitivistischen Kunstrichtung geworden, deren Grund-
lagen auf der künstlerischen Aneignung archaischer Formen
und Naturmaterialien beruhte.
Viele Gespräche zwischen Picasso und Brassai sind uns erhal-
ten und geben Zeugnis von dem reichen Gedankenaustausch
der befreundeten Künstler. Picassos Begeisterung für die
ursprünglichen Gravuren, welche Brassai auf den Wänden von
Paris fand, war groß. Größer war wohl dennoch der Einfluss
von Picassos Kunst auf Brassai. Die Formen und Strukturen,
welche Brassais Auge gefangen nahmen, sind eng verknüpft
mit dem Formenkanon, den Picasso gerade in dieser Zeit
entwickelte. So sind Brassais Fotografien sowohl Widerhall als
auch Innovation; beide Aspekte gehen in seinem Werk eine
Symbiose ein, welche einen unbestreitbaren und nachfühl-
baren Einfluss hatte auf viele Fotografen der nachfolgenden
Generation.
Aaron Siskind Der Chronologie folgend kommen wir Anfang der 50er Jahre
zu einem Mauerfotografen, der in Amerika wirkte und lebte.
Aaron Siskind kommt aus New York und blieb während seiner
gesamten künstlerischen Schaffensperiode den unterschied-
lichen Facetten der Städte dieser Welt verpflichtet. Bereits
Anfang der 40er Jahre etablierte er einen rein abstrakten foto-
grafischen Stil, für den er noch heute anerkannt und berühmt
ist. Den Schritt in die Abstraktion tat er nicht unbeeinflusst
von seinem künstlerischen Umfeld, das Mitte des vergangenen
Jahrhunderts in New York wirkte. Aaron Siskind war aktives
Mitglied der Abstrakten Expressionisten, welche im wesent-
lichen die Vorrangstellung der amerikanischen Kunst in der
Nachkriegszeit begründeten.
Zu den ihm nahestehenden Künstlerkollegen gehörten
berühmte Persönlichkeiten wie Willem de Kooning, Franz
Kline, Robert Motherwell, Barnett Newman, Jackson Pollock
und Mark Rothko. In diesem Kreis nahm Siskind als Fotograf
eine Außenseiterstellung ein. Seine Bilder entstehen an den
gemeinen Plätzen des Kommerz und der urbanen Gemein-
schaft. Dies mag das Industrieviertel einer Metropole oder
der Markt eines Fischerdorfes sein. Siskind macht uns ver-
traut mit der Umwandlung der Wirklichkeit, welche durch den
bewussten Gebrauch einer Kamera geschehen kann. Alles was
uns umgibt und von uns als Realität wahrgenommen wird, ist
stets nur unser ganz persönlicher Focus auf die Dinge. Doch
Abb. 45 Aaron Siskind, Jerome 21, 1949 die Fotografie macht uns bewusst, wie viele Nuancen unsere
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