Page 48 - Win Labuda Bildermacher
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Rahmen seiner Streifzüge entdeckte. Entstanden sind dabei
Bilder, die das Wechselspiel von Farbe, Sonne, Wind und Meer
in schönster Weise widerspiegeln. Die strahlenden Farben auf
Türen und Wänden treten in einen Kampf mit den Naturkräf-
ten, denen sie früher oder später erliegen müssen. Risse in der
Wandstruktur, verlaufende Wasserspuren und Kontraste von
Farbe und wettergegerbter Wandfläche werden durch seine
Fotografien auf eine expressiv und malerisch anmutende Weise
wiedergegeben. Zur Verstärkung bestimmter Farbeffekte setzt
er fotografische Filter ein, die bestimmte Bildstimmungen
unterstreichen. Hans Sylvester bietet uns eine eindrucksvolle
Schau auf das Erscheinungsbild der Mauer in einem Teil Grie-
chenlands und verleiht uns damit die Möglichkeit, die Mauer
auch als eine Manifestation der Einflüsse von Wind und Wetter
und des ländlichen Lebens wahrzunehmen.
Zusammenfassung Wendet man sich nun vergleichend dem Werk meines Vaters
zu, dann zeigt sich eine künstlerische Position, die sich in ihrer
facettenreichen Ausrichtung von der vorangehend besproche-
ner Fotografen unterscheidet. Brassai, als Urvater der Mau-
erfotografie, konzentrierte sich auf die archaisch anmutende
Gravur in die Wand. Siskind hat uns vertraut gemacht mit den
abstrakten Dimensionen des Erscheinungsbildes von Wänden
und anderen Oberflächen. Friedlander geht es um das Mitein-
ander von Mensch und urbaner Umgebung. Silvester fotogra-
fiert das Erscheinungsbild der Mauer im farbigen Wechselspiel
mit den Einflüssen der Natur und der Zeit.
Und schließlich mein Vater, der Poet und Chronist der Gefühle,
die von Ungenannten auf Mauern, Türen, Toren und Baum-
rinden zurückgelassen wurden. Bei ihm finden wir alles: die
Gravur, die malerischen, wenngleich abstrakten Wandober-
flächen, die Zahl, den Buchstaben, den geschriebenen Satz
des urbanen Menschen. Er präsentiert uns ein umfassendes
Erscheinungsbild von Mauer und Wand. Dabei fügt sich jede
dieser Ansichten in eine eigene, durchgängig ästhetische und
menschliche Sicht des Künstlers, ohne dass man darauf den
Begriff Konzept anwenden möchte. Auch darin liegt seine
Kunst. Seine künstlerische Formensprache orientiert sich an
den großen Malern und Zeichnern des vergangenen Jahrhun-
derts und weniger an den fotografierenden Kollegen. So hatte
er bis Ende der 80er Jahre noch nicht einmal Bekanntschaft
gemacht mit dem Band „Graffiti“ von Brassai und war, wie
er sagte, tief berührt und gleichzeitig freudig überrascht, in
Brassai einen bis dato ungekannten geistigen Vater gefun-
den zu haben. Ausdruckstärkstes Element in seinem foto-
grafischem Werk sind u. a. die abstrakten Mauerstrukturen
und Wandbemalungen. Hier tritt seine zutiefst kontemporär
geprägte Empfindung von Kunst und Ästhetik zutage. Ein
Bewunderer und profunder Kenner der Kunst des 20. Jahr-
hunderts findet hier ein Medium, um sich mit seinen eigenen
Abstraktionen einzuordnen in die Reihe der Kunstschaffenden
unserer Zeit.
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