Page 53 - Win Labuda Bildermacher
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aber auch etwas hinzu, nennen wir es die Rückbesinnung auf
die Urformen im Sinne der Überwindung des Banalen. Es mag
sogar sein, dass der Gewinn aus dieser Rückbesinnung größer
ist, als der Verlust an Ästhetik. Künstler wie Antes, Kriester,
Moore und wenn man so will und in einem anderen Sinne auch
die Minimalisten wie Andre, Mangold, Rückriem und Stella oder
in bedeutenden Teilen ihres Werkes die Fotografen Callahan,
Fontana, Giaccomelli, Hervéund Siskind haben sich dieser
Richtung verschrieben. Dazu gehören aber auch die Mauerbil-
der eines Brassai. Und vielleicht ist in einem transformierten
Sinne zu den Genannten auch das Werk von Andreas Gursky
dazuzurechnen.
Um die ursprüngliche Frage zweifelsfrei zu beantworten: Gene-
rationsbedingte Wurzel und der Glaube an die Einmaligkeit des
Individuums sind gleichermaßen die Wurzeln meines Individu-
alitäts-Begriffs. Das kann man natürlich auch als Begrenzung
sehen. Man darf nicht verkennen, dass Massenphänomene
wie die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 mit den zunehmenden
Möglichkeiten des Fernsehens und der Computertechnik in
unserem Leben eine immer größere Rolle spielen. Dieses neue
Weltgefühl in künstlerische Bahnen zu lenken, ist Sache der
heutigen Kunst schaffenden Generation und in der ist Andreas
Gursky, so denke ich, eine der herausragenden Gestalten.
NL - Die von dir erwähnte Demokratisierung der Kunst-
welt führte ja nicht nur zu einer Banalisierung der
Kunstmotive wie etwa in der Pop Art oder in der Street
Photography. Gleichzeitig kam es durch die Entwick-
lung vereinfachter fotografischer Geräte und Verfahren
auch zu einer Demokratisierung der technischen Mittel.
Wie lässt sich bei der entstandenen Bildüberflutung die
künstlerische beispielsweise von der Urlaubs- und Fami-
lienfotografie unterscheiden ?
WL - Das, was in den Medien als Kunst bezeichnet wird, ist
letzten Endes durch die Meinung der Galeristen, Kunsthistori-
ker und Kunsttheoretiker bestimmt. Sie treffen ihre Entschei-
dung aus einem vertieften kunsthistorischen Spezialwissen
und ihrer visuellen Verfeinerung heraus. Diese sind weitab von
Kenntnis und Verständnis des gelegentlichen Kunstbetrachters
angesiedelt. Kunst ist im Wesentlichen, was man dafür hält.
Kunst ist außerdem der Akzeptanz der Mehrheit der Betrach-
ter und dem Zeitgeist unterworfen. In diesem Sinne ist Kunst
eben auch, was einem Museum die großen Besucherzahlen
bringt. Wer interessiert sich heute noch für Cesars „Daumen“?
Es gibt aber einen guten Filter für das, was mir selbst Kunst
ist. Das ist der Zeitfilter. In meinem Leben habe ich viele
tausend Fotografien betrachtet. Wenn ich mich aber fern von
meinem Bücherschrank an einzelne davon erinnern will, dann
fallen mir nur etwa fünfzig Fotos ein. Welche sind das? Es
ist eine interessante Selbsterfahrung, festzustellen, welche
Abb. 3 Irisches Licht, 2005, FH 037 Fotografien einem in der visuellen Erinnerung geblieben sind.
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