Page 58 - Win Labuda Bildermacher
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der Form. Sie landen in meinem Archiv, um dort ein Dasein
in der Erwartung ihres Entdecktwerdens zu fristen. Meine
Arbeitsweise ist also konzeptuell und dynamisch zugleich.
NL - Du hast mit deiner fotografischen Arbeit zu einer
Zeit begonnen, als diese Kunstform bei weitem noch
nicht die Anerkennung genoss, wie sie ihr in den letzten
fünf bis zehn Jahren zuteil wurde. Warum wähltest du
trotzdem die Fotografie als dein persönliches, künstleri-
sches Medium?
WL - Als ich 16 Jahre alt war, hatte ich erstmals den Wunsch,
mich bildhaft auszudrücken; aber mir fehlte die Möglichkeit
dazu. Ich lernte das Freihandzeichnen von meinem Vater,
einem begeisterten Tierzeichner. Ich war jedoch in dieser
Disziplin weniger begabt. Hingegen lag es mir, konstruktiv zu
zeichnen. Das hätte es mir damals jedoch nicht erlaubt, mich
frei künstlerisch zu betätigen oder gar zu ernähren. Erst viel
später erfuhr ich von der Existenz eines Max Bill, Karl Pfahler,
Jean Dewasne, Victor Vasarely oder anderen Konstruktivis-
ten. Mein Vater schenkte mir irgendwann eine Kamera und
ich begann zu fotografieren. Mein erstes „künstlerisches“ Bild
machte ich 1956.
Ich hatte damals wie heute beim Fotografieren nie das Gefühl,
„Kunst“ zu machen. Fotografieren ist für mich wie Atmen; ich
merke es kaum. Ob die Fotografie „mein eigenes künstleri-
sches Medium“ ist, vermag ich in dieser Direktheit der Aussage
nicht zu bestätigen.
Ich habe ja auch jahrelang grafisch gearbeitet. Die Einordnung
meiner Arbeiten in die Kategorien „Kunst“ oder „Nichtkunst“
ist mir fremd. Ich mache mit einem technischen Apparat,
also meiner Kamera, eine reproduktionsfähige Aufnahme und
reproduziere diese maschinell. Ob das Produkt meiner Arbeit
als „Kunst“ empfunden wird entscheidet allein der Betrachter.
Niemand anderes hat die Bestimmungshoheit darüber, was
Kunst ist, als die Gesamtheit der Betrachter. Ich glaube keine
bildnerische Technik ist prinzipiell „Kunst“ und somit auch nicht
die Fotografie.
Ich limitiere bewußt nicht die Auflage meiner fotografischen
Arbeiten, weil ich es als kontraproduktiv empfinde, die Auflage
eines leicht reproduzierbaren Bildes künstlich zu limitieren
damit jemand dafür mehr bezahlt, dass er die Freude an
meiner fotografischen Arbeit mit möglichst wenigen Anderen
teilen muß. Das entspricht nicht der prozessualen Wahrheit der
modernen Bildproduktion und auch nicht dem demokratischen
Geist der Fotografie. Ich will ja im Prinzip nicht den Kreis derer
einschränken, die Freude an meinen Bildern haben, sondern
ich will ihn eher vergrößern. Ich bin ein enthusiastisches Kind
des Zeitalters der Reproduktion. Ohne die Reproduktion wären
Abb. 9 Freyanar, Strichradierung, 1990 wir alle nicht das, was wir heute sind. Wenn es nach mir ginge,
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