Page 69 - Win Labuda Bildermacher
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flusst durch den Automatismus des Surrealismus.
                                                       Ebenso intensiv widmete er sich der dadaistischen Collage.

                                                       Sowohl den Einfluss des Dadaismus wie des Surrealismus
                                                       benutze er lediglich um sich von vorgefertigten Schaffenspro-
                                                       zessen zu befreien. Er begann stets mit einer Zeichnung orien-
                                                       tiert an der Natur, also einer figurativen Form, die den Grund-
                                                       stock bildete für die abstrakten Formen, welche er daraus
                                                       entwickelte. Letztendlich sind ab Mitte der 50er Jahre daraus
                                                       Leinwände entstanden, anfangs einzelne später mehrere
                                                       nebeneinander, zumeist monochrom bemalt, die zutiefst der
                                                       reinen Abstraktion verpflichtet sind. Das also, was der breiten
                                                       Öffentlichkeit zunächst von Ellsworth Kelly gezeigt wurde,
                                                       waren rein abstrakte Bildwerke ohne jeglichen Bezug zur
                                                       unserer natürlichen Umgebung. Das zeichnerische und auch
                                                       das fotografische Werk Kellys eröffnet uns eine Dimension, die
                                                       man zunächst nicht vermuten möchte.

                                                       Kelly äußert sich dazu in folgender Weise:
                                                       „Ich arbeite gerne nach Dingen, die ich sehe, seien sie nun
                                                       vom Menschen gemacht oder reine Natur oder eine Mischung
                                                       von beiden. Gelegentlich arbeite ich auch direkt nach etwas,
                                                       was ich gesehen habe, wie ein Fenster oder ein Stück oder
                                                       Bruchstück von Architektur oder die Beine von Jemandem oder
                                                       manchmal der Raum zwischen zwei Dingen wenn der nur wie
                                                       der Schatten einer Sache aussieht. Die Dinge, die mich inter-
                                                       essieren, waren immer da. Mich interessiert nicht die Beschaf-
                                                       fenheit des Steins oder dass es ein Stein ist, sondern seine
                                                       Masse und sein Schatten.“

                                                       Das zeichnerische und fotografische Werk Kellys ermöglicht es
                                                       uns, die Abstraktion seiner Werke zu überführen in die ding-
                                                       liche Welt, die uns umgibt. Sei es die Zeichnung eines Pflan-
                                                       zenblattes oder die Fotografie eines Heuschobers, wir können
                                                       darin die Form entdecken, welche er aus dem Gesamtbild
                                                       herauslöst und uns singulär als Leinwand oder später vielleicht
                                                       auch als Skulptur präsentiert. Insofern sind Kellys Zeichnun-
                                                       gen und Fotografien nicht nur homogener Bestandteil seines
                                                       künstlerischen Schaffens, sondern auch eine werkimmanente
                                                       Hilfe zum Verständnis seiner Abstraktion.

           Win Labuda                                  Hätte mich als Kind jemand gefragt „was ist Dein Vater von
                                                       Beruf?“ ich hätte mit absoluter Entschiedenheit „Zeichner“
                                                       geantwortet. Clear & Clean, ja das war wohl sein Unter-
                                                       nehmen, das er im Begriff war aufzubauen, aber da gab es
                                                       eben auch dieses schwarze, kleine Buch, in das mein Vater
                                                       seine Figuren zeichnete und welches uns Beide wie ein böser
                                                       Nebenbuhler allzeit begleitete, auf unseren kleinen Ausflü-
                                                       gen, auf den großen Reisen, beim Abendessen und sogar
                                                       beim Vater-töchterlichen Kuscheln im Bett. Dieses schwarze
                                                       Büchlein, welches in unendlichen Fortpflanzungen nun viele
                                                       Regalmeter im Hause Labuda füllt, war über Jahre hinweg
                                                       das Tagebuch meines Vaters. Aber nicht nur das; es war auch

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