Page 84 - Win Labuda Bildermacher
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ungeordneten Zustand hin. Zur Erhaltung des geordneten
Zustands oder zur Herbeiführung eines höhergradig geordne-
ten Zustands muss demzufolge Arbeit aufgewendet werden.
Versuchen wir eine Analogie über die soziale Entropie zur
Ästhetik, so ist es eine These, dass derjenige Zustand eines
visuellen Systems, der weitestgehend den Gesetzmäßigkeiten
der Ästhetik entspricht, auch der weitestgehend Geordnete
aller möglichen, visuellen Zustände sei. Es bedarf somit des
ständigen Eintrags von Arbeit, um diesen Zustand zu erhal-
ten. Es lässt sich auch folgern, dass ohne den Eintrag von
Arbeit die Entropie, hier einmal gleichgesetzt mit „Unordnung“
des ästhetischen Systems, ständig zunimmt. Wohl strebt der
Zeitpfeil der Welt einem Maximum an Entropie zu. Die bishe-
rige Entropiebetrachtung schließt jedoch z. B. die Prozesse der
Selbstorganisation nicht ein, wohl jedoch solche mit externer
Energiezuführung. [9]
Abb. 17 Horizont 11, 2008, FH 085
aus der Serie „Anfang der Zeit“ In meiner sozial ausgerichteten Entropiedefinition gehe ich
von der Beobachtung aus, dass sich die Partikel (hier als
Menschen) in einem Zustand zunehmender Selbstorganisation
befinden. Dies zeigt sich deutlich in der Bildung von Gemein-
schaften, in der Etablierung von Rechtssystemen, in der Schul-
ausbildung und der Alterssicherung. Einen Eintrag von Arbeit
für die Erhaltung eines ästhetischen Zustands werden wohl
nur diejenigen erbringen, welche von einem solchen Zustand
in irgendeiner Weise profitieren. Dies sind heute die Werbege-
stalter und Produkt-Designer, die uns oftmals einen Formen-
reichtum bescheren, der sich zumindest in den Grenzbereichen
von bildender Kunst nicht mehr unterscheidet. [10] Gäbe es
diese Menschen nicht, so wäre die Welt der uns umgebenden
Formen und Farben vermutlich gleichermaßen „verrauscht“ wie
die uns schwindende Welt der Stille.
Es scheint, wir haben im Laufe unserer Entwicklung gelernt,
unsere sinnlichen Wahrnehmungen mit den Erkenntniszustän-
den „gut“ und „schlecht“ bzw. „besser“ und „schlechter“ zu
koordinieren. Diese Erkenntnis betrifft im Grunde alle mensch-
lichen Sinne, und so auch den Sinn für das Schöne; der spielt
von der Gattenwahl bis hin zur visuellen Einschätzung der
Stabilität von Gegenständen eine große Rolle in der Lebens-
bewältigung. „Schön“ bedeutet demnach in vielen Fällen auch
„gut“. Auch die moderne Hirnforschung hat sich dieser Themen
angenommen und schon bald werden wir mehr wissen über
den Zusammenhang von nützlich und „schön“. [11]
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