Page 82 - Win Labuda Bildermacher
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„Ich bin ein religiöser Mensch. Die Fragen des Glaubens und
                                                       meine Probleme als Künstler liegen nahe beieinander. Natür-
                                                       lich hat meine Auffassung von Raum eine spirituelle Dimen-
                                                       sion, so wie dieser ja auch eine philosophische hat.“ [6]

                                                       Was Chillida über sich und den Raum sagt, möchte ich auf
                                                       die Zeit beziehen. Nicht die Begrenzung von Raum bewirkt
                                                       ja die Tragödie unserer menschlichen Existenz, sondern der
                                                       unglückliche Antagonismus aus unserer begrenzten Verweilzeit
                                                       im „System Erde“, bei unbegrenztem Vorstellungsvermögen
                                                       davon. Es folgt, dass jeder sinnstiftende Gedanke in der Zeit-
                                                       kategorie verankert sein muss. Fortschritt ist Veränderung im
                                                       Rahmen der Konkretisierung von Zeit bei abnehmender sozia-
                                                       ler Entropie. Jeder von uns ist in kleinen Beitrags-Einheiten in
                                                       diesen Prozess eingebunden. Hier zeigt sich auch eine mögli-
                                                       che Auslegung des Konfuzius-Zitats „der Weg ist das Ziel“.
                                                       Die Fotografie ist als Verfahren von dualer Natur. Sie hat
                                                       sowohl eine dokumentarische als auch eine historisierende
                                                       Komponente. Werden doch mit ihrer Hilfe Zustände abgebil-
           Abb. 14 Kilclooney-Dolmen IV, 2004, FM 036  det, die während des Abbildens noch Gegenwart, unmittelbar
           aus der Serie „Heimat der Götter“
                                                       danach jedoch bereits Vergangenheit sind. Jede Fotografie ist
                                                       also nach ihrer Entstehung, ein historisches Dokument von
                                                       kontinuierlich wachsender Historizität. [7] In meinem Zyklus
                                                       habe ich von einer eher vergleichenden Möglichkeit Gebrauch
                                                       gemacht: Das fotografische Abbilden innerhalb der histori-
                                                       schen Bezugsperiode entstandener Artefakte mit Hilfe eines
                                                       vergleichbaren Formenkanons. Dieses Verfahren vermittelt
                                                       eine dem Wild-West-Film ähnliche visuell-gedankliche Nähe zu
                                                       den seinerzeit gegebenen Umgebungs-Bedingungen und der
                                                       vorherrschenden Formstruktur. So habe ich es beispielsweise
                                                       im Rahmen meiner Abbildungen der Gehäuse von Meeres-
                                                       schnecken als Urformen der Natur und auch bei der Serie
                                                       „Heimat der Götter“ mit den Dolmen, Menhiren und Steinkrei-
                                                       sen gemacht, die sich seit Jahrtausenden in ihrer Form nur
                                                       wenig verändert haben und sich zudem noch am ursprüngli-
                                                       chen Entstehungsort befinden. Ähnliches gilt für die Instru-
                                                       mente, Maschinen und Apparate welche ich früher einmal in
                                                       der Serie „Segen der Technik“ fotografiert habe.

                                                       Meine Fotografie dient also im Wesentlichen der Vermittlung
                                                       von Sinn durch das Studium, die Betrachtung und die Ver-
                                                       innerlichung von Form. Dieser Erkenntnisweg verlangt die
                                                       Bereitschaft zur Synthese von Form und „Grund“, wie sie ein
                                                       anonym gebliebener französischer Schriftsteller in dem Satz
                                                       „La forme, c‘est le fond, qui remonte a la surface“ (Die Form
                                                       ist der an die Oberfläche gebrachte Grund) zum Ausdruck
                                                       gebracht hat. Wir wollen also von der Form auf den Grund
                                                       schließen, der für die Abfolge durch markanten Fortschritt
                                                       gekennzeichneter Erdzeit-Perioden sich als mögliche Ursache
                                                       bietet; wir wollen gewissermaßen „im Bauen den universalen
                                                       Sinn erkennen“ und das Mysterium der Schöpfung dort hinein
           Abb. 15 Ring of Brodgar I, 2004, FM 035
           aus der Serie „Heimat der Götter“           verlagern - wiederum: Der Weg ist das Ziel. Das dem Zeital-

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