Page 83 - Win Labuda Bildermacher
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ter der Aufklärung geschuldete Aufkeimen des begründeten
                                                       Zweifels mit der Folge einer Verlagerung des Mythos und des
                                                       Glaubensverlustes geht einher mit der Suche nach Lebenssinn
                                                       und nach Geborgensein in den sinnfälligen Strukturen unseres
                                                       „Systems Erde“. Ich sehe insbesondere im tieferen Verständnis
                                                       der Evolution, so wie in der Erd- und Menschheitsgeschichte,
                                                       einen begründeten Anlass zur Besinnung auf ein entwicklungs-
                                                       geschichtlich basiertes, metaphysisches, also nicht mehr allein
                                                       vom Glauben geprägtes Weltbild. Nirgendwo findet sich mehr
                                                       „Grund“ als in den Prozessen der Erd- und Menschheitsge-
                                                       schichte, die zu beobachten und zu dokumentieren wir mehr
                                                       als dreitausend Jahre lang Gelegenheit hatten.

                                                       Die Fotografie, insbesondere die Mikrofotografie und die Astro-
                                                       fotografie, bietet die Werkzeuge zur Aneignung der Strukturen
                                                       des Mikro- und des Makrokosmos. Nach heutigem Stand der
                                                       Technik sind sie so weit entwickelt, dass sich Erkenntnisse
                                                       ankündigen und vollziehen, die in ihren Randgebieten Berüh-
                                                       rungszonen mit der Philosophie aufweisen, so dass sie in der
                                                       Perspektive die Natur- mit den Geisteswissenschaften einst
                                                       miteinander versöhnen mögen.
           Das ästhetische Fundament                   Eckhard Schollmeyer hat meine künstlerische Arbeit in seiner
                                                       Laudatio mit Silberfäden an die abendländische Philosophie [8]
                                                       gekettet. Ich will mich daher im Folgenden ausschließlich auf
                                                       das Phänomen Ästhetik beschränken und dies auch nur inso-
                                                       weit meine hier besprochenen Arbeiten davon berührt werden.

                                                       Für mich ist das Schöne die Grundlage alles Bildnerischen,
                                                       und so bemühe ich mich bei allen meinen Bildern um ästheti-
                                                       sche Gestaltung. Antiästhetische Positionen haben die bil-
                                                       dende Kunst seit dem 20. Jahrhundert geprägt, wohl auch in
                                                       dem Versuch, das gesellschaftlich etablierte Ordnungsgefüge
                                                       infrage zu stellen. Es kann nicht bestritten werden, dass der
                                                       ständig wiederholte Gebrauch ästhetisch vollendeter Formen
                                                       zu einem verdrießenden Déja-vu führt.

                                                       Auf der anderen Seite entstand aber zeitgleich eine abgeklärte,
                                                       allgemein verständliche, die sozialen Schichten übergreifende
                                                       Formensprache. Diese zeigt sich in der Rückbesinnung auf die
           Abb. 16 Stonehenge IV, 2002, FM 021, aus der Serie   Urformen und auf eine Schönheit des Einfachen. Das Bauhaus,
           „Heimat der Götter“                         die Konkreten wie Bill und später die Minimalisten wie Judd,
                                                       LeWitt und Mangold aber auf anderer Ebene auch Genera-
                                                       tionen skandinavischer Designer haben dazu ihren Beitrag
                                                       geleistet. Diese Formen sind für sich gesehen und als Einzel-
                                                       elemente betrachtet, schön im ursprünglichen Sinne, aber
                                                       sie lassen beispielsweise im architektonischen Verbund oft
                                                       die narrative, das Spirituelle mit dem Humanen vermittelnde
                                                       Komponente vermissen und hier findet sich eine Ursache des
                                                       allgemeinen Unbehagens an unserer Architektur.
                                                       Materie und Energie verändern sich, auf sich belassen,
                                                       nach dem Lehrsatz zur Entropie stets vom geordneten zum

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