Page 88 - Win Labuda Bildermacher
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Serie die Linie Dieser Teil meines grafischen Werks, die „Lineaturen“ zeigen
sich nun als Prägedrucke. Ursprünglich waren sie zweidimen-
sionale Gebilde, mit dem Zeichenstift geschaffen. Bei erster
Betrachtung erscheinen sie als Gedankengeschöpfe von flüch-
tiger Natur, gewissermaßen als nichteuklidische Geometrien.
Man soll sie sehen als Fragmente kunstvoller Architekturen,
nach ihrem Fall sorgsam geordnet und rekombiniert zu zei-
chenähnlichen Gebäuden und Gebilden, welche in ihrer Neuge-
stalt noblen Gedanken und Empfindungen zur Herberge dienen
mögen. Sie sind die Metaphern des Schillerwortes: Das Alte
stürzt, es ändert sich die Zeit, und neues Leben blüht aus den
Ruinen. In ihnen erscheinen Bilder der Kindheit, ein Besuch
1948 in Dresden, Deutschlands gestürzte Dome und am Boden
diese gotischen Fragmente, die nun in meinem Unterbewuss-
ten ihre Formen nachbilden, das Steineklopfen in den Trüm-
merwüsten der Nachkriegsjahre, die Hoffnung auf neues Leben
- so sind sie Heilung und Form gewordene Zuversicht zugleich.
Seit einem Viertel Jahrhundert zeichne ich sie in kleine,
schwarze Bücher. Manchmal vergesse ich es eine Zeitlang und
dann wieder fließen mir die Formen leicht aus der Hand und
werden so zur zeichnerischen Legende meiner Befindlichkeit.
Im Laufe der Zeit haben sich die Lineaturen verändert: Das
Fragmentarische weicht gelegentlich einer archaischen Form
oder auch einmal einer spielerischen. Der Kraft der Prägung in
das poröse, weiße Hadern-Papier haben sie sich gern ergeben.
Abb. 2 Karad, 2002, G 076 aus der Serie „die Linie“, Hier wirken sie als Prägedrucke, vom Licht gestreift, in der
Prägedruck auf Büttenpapier
Würde ihres unbefleckten Seins.
Serie die Fläche Im Wesentlichen sind meine Flach-Reliefs Metamorphosen,
erwachsen aus den Lineaturen. Die Umrisse sind gegeben und
die so umrissenen Flächen zeigen sich in den feinen Nuancen
von weiß. Mein erster Schaffensimpuls für die Arbeiten dieser
Serie war also stets eine Bleistiftzeichnung. Der Versuchung,
ihnen skulpturale Dimension zu geben, mochten sich die Line-
aturen bisher jedoch nicht immer willig fügen. Da waren 1990
in Tokyo meine Reliefs in mattem Weiß, welche uns die Zeit als
subtiles Grau der mit dem Sonnenstand wandernden Schatten
erfahren ließen. Aber diesen Reliefs hatte ich damals einen
Rahmen gegeben, welcher einer Korrespondenz der Formen
mit dem sie umgebenden Raum eine unglückliche Grenze war.
Nachdem ich dann die Arbeiten an den Reliefs etwa 20 Jahre
lang ruhen ließ, fand ich nach Wiederaufnahme derselben zu
eher geometrischen Formen. Sie zeigten sich weniger spiele-
risch und bildeten gewissermaßen den Gegensatz des strenge-
ren Alters zu den Formfindungen meiner mittleren Jahre. Ich
habe mich außerdem bemüht, zwischen den Reliefarbeiten und
den Prägedrucken eine Homogenität zu erzeugen, welche die
Serien miteinander harmonisch korrespondieren läßt. Es sind
die Lichtverhältnisse der Umgebung, welche beiden Serien ihre
Wirkung verleihen. Der Besitzer einer solchen Arbeit ist also
stets gefordert, einen Hängeort zu finden, der seiner Vorstel-
lung vom besten Wirken der Arbeit entgegenkommt. Dabei
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