Page 144 - Win Labuda Bildermacher
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mich nun mit einem sturen Blick parallel zu meiner Sehachse
                                                       und dem sparsam hervorgebrachten Wort “bitte”, welches bei
                                                       uns in Norddeutschland von der Semantik her, dem Begriff
                                                       “verschwinde” nicht ganz fern ist, dauerhaft zu verabschieden.
                                                       Als ich ihr daraufhin nahe brachte, dass ich mich nicht mit dem
                                                       Gedanken trüge, ein Schülermikroskop, sondern ein „Ultraphot
                                                       III“ zu bestellen, da wiederholte sie in unmissverständlicher
                                                       Dehnung „Ul-tra-phot-drei“ und beschied mich nach einer
                                                       Atempause mit dem Satz: „Das können Sie gar nicht bezah-
                                                       len.“ Das Mikroskop kostete damals etwas über 100 000,- DM
                                                       und es überstieg ganz offenbar ihr gesamtes Vorstellungsver-
                                                       mögen, dass jemand, der in einer abgewetzten, leicht verwa-
                                                       schenen blauen Windjacke und zudem unangemeldet bei der
                                                       Zeiss Stiftung erschien, um ein Ultraphot III zu bestellen, nicht
                                                       zumindest ein gefährlicher Hochstapler sei.

                                                       Auf Rache bedacht, kam mir unverzüglich der Gedanke, ihr
                                                       Einordnungsdefizit könne für die Preisverhandlungen nützlich
                                                       sein und so schrieb ich am gleichen Abend ein Fernschrei-
                                                       ben - es gab noch kein Fax und auch keine e-mail - schilderte
                                                       das Erlebte und schickte das Ganze an das Zeiss Werk für
                                                       Mikroskope in Göttingen. Eine Woche verging und es kam
                                                       der erwartete Anruf. Man kündigte den Besuch zweier Herren
                                                       an, die den peinlichen Vorfall ohne viel Aufhebens aus der
                                                       Welt schaffen sollten. Die beiden Herren erschienen alsbald
                                                       und stellten die Frage, wie man sich denn nun einigen könne.
                                                       Ich versuchte es mit der Vorgabe: „Vorführgerät zum halben
                                                       Preis.“ Die Beiden konnten - wie fast alle Verkäufer - nichts
                                                       zusagen, versprachen jedoch, bei der Geschäftsführung ein
                                                       gutes Wort einzulegen. Fast drei Wochen lang geschah nichts
                                                       mehr und die Angelegenheit war schon fast in Vergessen-
                                                       heit geraten. Da erschienen sie plötzlich wieder, die Beiden
                                                       und teilten geflissentlich mit, sie könnten mir nun ein Gerät
                                                       anbieten, welches eigentlich dem Schah von Persien gehöre,
                                                       der jedoch leider gerade gestürzt worden sei. Das Gerät wäre
                                                       bereits zu zwei Dritteln bezahlt, die neue persische Regierung
                                                       jedoch, hätte alle Verträge mit Zeiss storniert und so auch den
                                                       für das besagte Mikroskop. Man bot mir also das Mikroskop für
                                                       den Restbetrag von 30 000,- DM an und versprach zudem, das
           Abb. 4 Weihnachtskarte 1995, Koniferenspitze   benötigte Zubehör kostenfrei dazu zu geben. Ich willigte ein
           © Yuko Labuda
                                                       und versprach, im Gegenzug meinen Groll auf die mittelblonde
                                                       Sekretärin zu vergessen. Einen Monat später war ich stolzer
                                                       Besitzer eines „anständigen“ Mikroskops und bin der Mittel-
                                                       blonden natürlich bis heute dankbar für ihren kleinen faux pas.

           Manfred Kage - primus inter pares           Ich nahm dann die Verbindung mit Manfred Kage wieder auf, in
                                                       deren Verlauf ich wiederum Präparate für interessante Schmel-
                                                       zen und auch manchen guten Rat von ihm bekam. Nächte lang
                                                       habe ich mit diesen spektakulären Kristallbildern im polarisier-
                                                       ten Licht verbracht und dennoch wenige Aufnahmen gemacht,
                                                       weil jedes neue Wunder, das ich sah, noch größer war, als das
                                                       Vorangegangene und so stand zu erwarten, dass das Nächste
                                                       alles Vorangegangene, ja alles Vorstellbare übertreffen würde.

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