Page 145 - Win Labuda Bildermacher
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Oft vergaß ich, über das Staunen und meine Unschlüssigkeit,
den Auslöser zu betätigen. Die Kristallbilder wurden mir mit
der Zeit zur visuellen Droge, von der ich mich irgendwann
befreien musste. Einige schöne Aufnahmen sind dennoch ent-
standen, von denen ich eine kleinere Auswahl diesem Aufsatz
als Anhang beifüge.
Eines Tages erzählte mir mein langjähriger, guter Freund,
Professor Wilfried Gunkel, der spätere Direktor der Deutschen
Biologischen Anstalt, ein Mikrofotograf wäre in ihrem Institut
auf Helgoland gewesen, um an Präparate zu kommen; der
habe für viel Wirbel gesorgt, ihr Axiomat-Mikroskop komplett
auseinandergelegt, aber es seien am Ende unvergleichliche
Aufnahmen von Radiolarien entstanden - „genau so schön, wie
die von Haeckel“ meinte er. Ich ahnte schon, dass es Manfred
Kage war, der da am Werk gewesen sein musste. Ich fuhr also
auch ein Mal zu den Gunkels nach Helgoland, um auch ein
paar schöne Radiolarien-Bilder zu machen, aber die Radiola-
rien, die man mir gegeben hatte, schienen mir, zumindest in
meinem Ultraphot höchst unspektakulär und ein Elektronenmi-
Abb. 5 Yuko und Win Labuda während der Ausstellung Mi- kroskop stand mir damals noch nicht zur Verfügung.
krofotografie - Schönheit jenseits des Sichtbaren, in Berlin
am 30.09.2010
Yuko Labuda war es dann, die, angesichts des Namens
Manfred Kage, der bei uns immer wieder einmal Erwähnung
fand, darauf bestand, dass wir den maestro doch einmal in
seinem Schloss in Weißenstein besuchen sollten. Kage hatte
mittlerweile als Schlossbesitzer und Mikrofotograf auch in
Japan eine gewisse Bekanntheit erlangt. So kam es, dass
wir im Februar 1988 nach Weißenstein „pilgerten“ und von
Manfred Kage sehr herzlich empfangen wurden. Er zeigte uns
Interessantes und Gruseliges aus seiner täglichen Arbeit und
auch sein Elektronenmikroskop, mit dem er die Möglichkeit
demonstrierte, kleinste Strukturen in großer Schärfentiefe
abzubilden. Als wir Weißenstein am späten Abend verlie-
ßen, waren bei mir die Weichen in Richtung Anschaffung
eines eigenen Elektronenmikroskops gestellt. Zum Abschluss
unseres Besuchs schenkte Manfred Kage uns dann, gut
gelaunt, sein faszinierendes Buch „die Siliziumwelt“ und zwei
Original-Dias mit kaleidoskopischen Arbeiten von ihm, die wir
stets in Ehren halten und gelegentlich betrachten.
Was von Manfred Kage in uns bleibt: Er hat sich zu einem Zeit-
punkt, als wir noch relativ unwissend waren, unser mit freund-
licher Hinwendung angenommen und sein Wissen freimütig mit
uns geteilt. Durch sein Beispiel hat er uns zudem gelehrt, die
abzubildende Natur in der ihr aus den Bedingungen ihrer Ent-
stehung heraus erwachsenen Morphologie zu belassen. Hans
Magnus Enzensberger schreibt in seinem Essay-Band Die Eli-
xiere der Wissenschaft „Die Poesie der Wissenschaft liegt nicht
offen zutage. Sie stammt aus tieferen Schichten. … Unsichtbar
wie ein Isotop, das der Diagnose und der Zeitmessung dient,
Abb. 6 Prof. Manfred Kage an seinem 75. Geburtstag in unauffällig doch kaum verzichtbar wie ein Spurenelement,
Berlin bei der Eröffnung seiner Ausstellung in der Alfred-
Ehrhardt-Stiftung mit Yuko Labuda ist die Poesie auch dort am Werk, wo niemand sie vermutet.“
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