Page 102 - Win Labuda Bildermacher
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Mensch im Gemälde noch den höheren Wert für das Image
seines Hauses. Anders hingegen die Generation der 30-40jäh-
rigen. Sie sind mit der Fotografie, - damals war sie noch im
„Vorkunst-Stadium“ - groß geworden. Für sie ist die erfolg-
reiche Fotokunst von heute das eingelöste Versprechen ihrer
Jugend.
Wie dem auch sei, Kunst und auch Fotokunst sind letzten
Endes nichts Anderes als das, was eine Mehrheit von Betrach-
tern mit diesem Begriff verbindet. Daher ist es müßig, sich
einer Bewertungs-Diskussion hinzugeben allein schon deswe-
gen, weil sich die Mehrheiten im Laufe der Zeit ändern. Man
erinnere sich daran, dass van Goghs Werke zu seinen Lebzei-
ten nicht einmal als Kunst wahrgenommen wurden. Die Frage
stellt sich also: Muss man im Zusammenhang mit Fotografie
überhaupt von Kunst sprechen? Man müsste es nicht. Einer
der bekanntesten Fotografen, Henri Cartier – Bresson, begriff
sich sein Leben lang als Handwerker und verzichtete konse-
quent auf jede Limitierung seiner Auflagen. Die Frage stellt
sich also: Wer hat ein Interesse daran, das fotografische Bild
zum Kunstwerk zu nobilitieren? Das sind in erster Linie dieje-
nigen, die mit den fotografischen Abzügen Geschäfte machen,
also die Galeristen, die Auktionatoren und die Museumsleute.
Zweitens sind es die Künstler selbst, die sich natürlich in ihrer
vom Kunsthandel und den Museen verliehenen neuen Identi-
tät bestätigt und gehoben fühlen. Wie lässt sich in Erfahrung
bringen, ob ein Bild eine künstlerische Präsenz hat? Gibt es
einen Gradmesser für Kunst im Bild? Man darf davon ausge-
hen, dass bedeutende Bilder von der Mehrzahl der Betrachter
bereits nach einmaligem Ansehen längere Zeit erinnert werden
als weniger Bedeutende. Geistig-seelischer Widerhall in Kom-
bination mit Erinnerungsdauer kann ein brauchbarer „Kunst-
gradmesser“ sein. Gibt es eine Fotokunst? Ja, es gibt sie muss
die Antwort lauten - aber nur dann, wenn wir uns mehrheitlich
dafür entscheiden und vor Allem dort, wo die Möglichkeiten
der Computertechnik zur Einflussnahme auf die Bildgestaltung
genutzt werden. Die Mehrheitlichkeit in Erfahrung zu bringen
ist wiederum Sache der Galeristen, Ausstellungsmacher und
Kunst-Sachverständigen.
Nun hat die moderne Digitalfotografie wie keine andere abbil-
Mehr Bilder als Zeit dende Technik, dem Menschen das eröffnet, worauf Joseph
Beuys hinwies, wenn er sagte „Alles ist Kunst und jeder ist ein
Künstler.“ Mit Digitalkamera, Computer, Inkjet-Drucker und
Internet ist es für Milliarden von Menschen möglich geworden,
ihr bildnerisches Potenzial zu erkunden, zu vergleichen und zur
Schau zu stellen. In der Fotografie ist erstmalig in einer Kunst-
gattung die Gleichheit von Milliarden erreicht – und das in
einer weltweiten Ausdehnung. Arme und Reiche, Gebildete und
Ungebildete, Alte und Junge fotografieren in jeder Minute an
jedem Platz der Erde all das, was ihnen gerade abbildenswert
erscheint. An jedem Tag entsteht auf diese Weise ein Zuwachs
von etwa einer halben bis einer Milliarde fotografischer
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