Page 158 - Win Labuda Bildermacher
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Abbild - Kunstbild Wenn ein Fotograf in künstlerischer Absicht eine Aufnahme
macht, so bestimmt er damit einen bildhaften Ausschnitt aus
der sichtbaren Welt zu seinem Werk. Bisher erfolgte der Akt
des Kunst Schaffens mit der Kamera im Wesentlichen durch
eben jene Ausschnitts-Bestimmung. Dabei kann der Fotograf
zwar das ihm geeignet erscheinende Licht wählen, als auch
Helligkeit, Kontrast, Farbgebung und andere technische Para-
meter verändern, aber das geschaffene Bild bleibt weitgehend
durch den gewählten Ausschnitt bestimmt.
Die digitale Technik erlaubt es heute jedoch an fotografischen
Bilddateien gestaltende Veränderungen vorzunehmen, etwa
durch das Hinzufügen, Vervielfältigen oder Entfernen belie-
biger Bildteile. Die Anmutung eines realitätsgetreuen Abbilds
bleibt dabei in vollem Umfang bestehen: System zur Bild-
manipulation sagen die Einen - Voraussetzung für neuartige
Bildschöpfungen die Anderen.
Andreas Gursky [1] demonstriert in dem Dokumentarfilm
„Gursky, Fotograf“ von Jan Schmidt-Garre [2] die künstle-
risch motivierte Bildgestaltung mit Hilfe der Digitaltechnik.
Dies geschieht im Rahmen der Entstehung des Gursky-Bildes
„Hamm, Bergwerk Ost“. Das großformatige Bild zeigt Klei-
dungsstücke von Bergarbeitern, die unter der Decke eines
Umkleideraums aufgehängt sind, während die Kumpel sich
unter Tage befinden. Durch den kombinierten Gebrauch von
Kamera und Computer wurden die Möglichkeiten des künstleri-
schen Gestaltens fotografischer Bilder erheblich erweitert. War
zuvor die gestalterische Variationsbreite des Fotografen nicht
wirklich vergleichbar mit der eines Malers, so ist sie nun deut-
lich gewachsen und übertrifft in einigen Apek-ten selbst die
Möglichkeiten der Tafelmalerei. Der nachstehende Text bezieht
sich denn auch auf das fotografische Einzelbild, nicht hinge-
gen auf die Filmkunst. Welches sind also die Voraussetzungen
dafür, dass ein fotografisches Bild - sei es Ausschnitts- oder
Gestaltungsbild - als Kunstwerk wahrgenommen wird? Eine
allgemein gehaltene Antwort auf diese Frage könnte sein: Das
Bild muss dem Betrachter eine illusionistische Wahrnehmung
nahelegen.
Der Begriff „Fotokunst“ Ist schon der Begriff „Kunst“ nicht leicht zu definieren, so
wird es noch schwieriger mit den in diesem Zusammenhang
mit „Kunst“ geschaffenen Verbundbegriffen wie Baukunst,
Filmkunst und eben auch Fotokunst. Der Begriff „Fotokunst“
ist zudem noch zu jung, um in der Semantik der deut-
schen Sprache bereits fest verankert zu sein. Der Fotograf
Thomas Ruff erwähnt sogar im „Spiegel“-Interview vom März
2012 [10], er empfinde die Bezeichnung „Fotokünstler“ als
Beleidigung.
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